Wie eine Nebelkerze ragt die Spitze des als Relikt stehengelassenen monumentalen Gebäudes aus vergangenen Sowjet-Zeiten in den schon abendlichen Himmel. Stellvertretend für die meisterhafte rhetorische Ablenkung und Verschleierung des aus den Tiefen des KGB aufgestiegenen russischen Führers Wladimir Putin. Und eine gravierende Verschlechterung der Sichtverhältnisse mit selbstzerstörerischen Tendenzen haben wir aktuell in der politischen Szene sowieso. Gesehen in der Innenstadt von Warschau im Stadtbezirk Śródmieście (übersetzt Stadtmitte). Hier der zum Symbol gewordene Größenwahnsinn des sozialistischen Grundgedankens. Der Pałac Kultury i Nauki, zu Deutsch Kultur- und Wissenschaftspalast, ist ein riesiger Gebäudekomplex, der mit seinem charakteristischen Turm sozialistische Geschichte geschrieben hat. Als Machtsymbol ließ Stalin in der Zeit seiner Herrschaft sieben Hochhäuser nach dem Vorbild des amerikanischen Empire State Buildings in Moskau bauen. Die als „Sieben Schwestern“, volkssprachlich auch als „Stalins Kathedralen“ oder „Stalinfinger“ bezeichneten Hochhäuser wurden auf verschiedene Weise genutzt: manchmal für Wohnzwecke, als Hotel oder auch für kulturelle Zwecke, aber auch politisch mit Verwaltungsbüros oder Ministerien. Diese unterstützten den Kreml in Moskau, um die Weichen für die politische Richtung in der Sowjetunion zu stellen, und den Ein-Parteien-Machtanspruch zu festigen. Eigentlich war ein achtes Objekt in Moskau geplant, das aber nie realisiert wurde. Deshalb „schenkte“ Moskau Polens Hauptstadt Warschau, beziehungsweise dem polnischen Volk, diesen Bau. Mit der Grundsteinlegung am Tag der Arbeit, dem ersten Mai 1052 begannen etwa 7000 polnische und 3500 sowjetische Arbeiter in 24-Stunden-Schichten das Gebäude zu errichten. Die Eröffnung fand am 21. Juli 1955 statt. Mit dieser Maßnahme festigte Stalin neben staatlichen Säuberungen und Massenverhaftungen seinen Griff auf Polen. Aus diesem Grund ist das Bauwerk, es ist mit 777 Fuß (240 m) Höhe neben dem MDM-Wohnviertel das einzige komplett erhaltene Baudenkmal der architektonischen Ära des Sozialistischen Realismus Warschaus, bis heute umstritten. Einerseits ist es heute ein historisches, zeitkritisches Denkmal, gilt als Wahrzeichen der Stadt und als Publikumsmagnet für Touristen. Andererseits möchten es viele abreißen, um sich symbolisch endlich von der Erinnerung an die damit verbundene, fast 50 Jahre währende sowjetische Herrschaft lösen zu können. Anfänglich nahm der Palast Repräsentationsaufgaben ein: Man fand dort das beste Restaurant der Stadt, und es trafen sich dort die Elite Polens aus der Staatspartei Polska Zjednoczona Robotnicza oder des Warschauer Pakts. Heute sind in den Räumlichkeiten des Komplexes Veranstaltungsräume, Bildungseinrichtungen, ein Kino, Theater, Museen, Restaurants, Cafés und Bars, ein Einkaufszentrum und ein Postamt der polnischen Post untergebracht. Und für viele der ehemaligen Unionsrepubliken der früheren Ostblockstaaten hatten diese Stalinfinger bezogen auf die Architektur der 50er Jahre Vorbildwirkung: So entstanden in Riga (heute Lettische Akademie der Wissenschaften), Bukarest (Casa Presei) und auch in Prag (Crown Plaza Hotel) ebenfalls solche Gebäude.